Mittwoch, 31. Oktober 2012

Lykke Li geht nie ins Lykia

Durchschnittliche. Erste. Dates.
Mir gegenüber sitzt Durchschnitts-Bernd. Bernd ist Pressesprecher bei einem Verband und stammt ursprünglich aus Schwieberdingen in der Nähe von Stuttgart.
Ich versuche seinen Dialekt angestrengt zu ignorieren.

Die Bedienung ist blond, niedlich und nett.
„Was kann ich Euch bringen?“
Bernd bestellt Köstritzer Schwarzbier. Ich ein Red Bull.
„Schmeckt Dir das?“
„Nö. Aber ich bin müde. Und Club Mate haben Sie hier leider nicht.“
„Club Mate? Das trinken doch nur die ganz Coolen, oder?“
Aha.
„Hm. Ja. So ungefähr. Ich trinke es, weil ich Kaffee nicht wirklich mag. Und weil Cola zu süß ist. Und Koks ist mir dann doch wieder zu teuer.“
Er sieht mich irritiert an. Na, das kann ja ein spaßiger Abend werden. Bernd spricht offensichtlich kein zynisch. Dafür schwäbisch.

„Und, was machst Du so? Wenn Du nicht gerade mit der Presse sprichst?“ frage ich mäßig interessiert.
„Ich spiele Fußball. Und engagiere mich in der Jungen Union…“
Verdammte Kacke! Vor mir sitzt also CDU-Bernd. Können wir diese Verabredung an dieser Stelle beenden? Nein, können wir natürlich nicht.
Mein Red Bull ist schon wieder alle. Ich bestelle einen Tomatensaft und überschütte ihn mit zwei Tonnen Pfeffer.
„Du bist komisch“, sagt CDU-Bernd. „So anders…“
Aha.
Na, wenn ich mir Dein kariertes Hemd so ansehe, will ich das doch schwer hoffen.

CDU-Bernd erzählt von seiner Mama. Von Maultauschen und Spätzle. Von seinen beiden letzten Freundinnen. Die einzigen, die er ja hatte.
Wie die wohl hießen? Perlen-Paula? Perlen-Marie?
Er schwäbelt weiter. Sie waren beide blond. Sie waren beide Arzttöchter.
Hm. Aha.
Ich denke an meinen Vater, der beim Operieren immer drei Brillen von Rossmann übereinander trägt. Mir Bettwäsche von ALDI zum Geburtstag schenkt. Ralph Lauren höchstwahrscheinlich für einen Scotch hält. Und dem „Golf“ nur als Meeresbucht bei Nordamerika oder als Kleinwagen bekannt ist.
Ich bin somit keine klassische Perlen-Emily. Und sollte jetzt gehen.

Die bunten Lichter im dunklen Lykia spiegeln sich auf CDU-Bernds leichten Geheimratsecken. Die dümpelnde Musik läuft leise im Hintergrund, so dass ich jeden seiner langweiligen Sätze verstehen kann.
„Hast Du Hunger?“ fragt er.
„Nö“, antworte ich. Während mein Magen die Wahrheit knurrt.
Amerikanische Teenager küssen nicht beim ersten Date. Ich schon, wenn’s passt. Aber essen? Niemals! Spaghettisoße, die wie ein Schnurrbart unter der Nase klebt. Salatkräuter, die festgeklemmt das Gegenüber anlächeln. Nee.
Da es aber definitiv kein zweites Date mit CDU-Bernd geben wird, kann ich ja mal eine Ausnahme machen.
„Ich lade Dich auch ein…“. Ein schmieriges Grinsen umspielt seine Mundwinkel.
Aha.
Klassische Rollenverteilung also. Der Herr zahlt, die Dame lässt zahlen. Na dann.

Die Speisekarte ist dicker als CDU-Bernds Bibel.
Frühstück. Extras zum Frühstück. Rührei oder Omelette. Suppen. Vorspeisen. Salate. Kartoffelgerichte. Für unsere kleinen Gäste. Meinen die damit etwa mich?
Pizza. Nudelgerichte. Aufläufe. Reisgerichte. Vegetarisch. Fleischgerichte vom Schwein. Rumpsteak. Fleischgerichte vom Huhn. Pfannengerichte. Hamburger. Dessert. Kuchen.
Ich entscheide mich nach gefühlt drei Jahrzehnten für Nr. 345: Auberginen „Saloniki“ für 8,40 Euro.
Das sind „Auberginen mit Zucchini, Knoblauch und Champignons gefüllt (mit Senf, Rosmarin und Olivenöl) serviert mit Reis oder Salzkartoffeln und Tsatsiki“.
Vielleicht kann ich Vampir-Bernd ja mit einer doppelten Dosis Knoblauch zurück ins Schwabenländle vertreiben.

Die Bedienung ist jetzt noch niedlicher. Will sie nicht den Platz mit CDU-Bernd tauschen? Ich bestelle die Nr. 345 mit Salzkartoffeln.
Das Essen kommt 20 Minuten später. Auf circa 345 Tellern, Körben und Schüsseln. Statt Salzkartoffeln ein Hügel Reis. Schade. Abzug in der B-Note.
Am Nachbartisch rechts sitzen vier durchschnittliche Angewandteliteraturwissenschaftsstudentinnen und reden über ihre Bachelorarbeit.
CDU-Bernd ist trotz seines Masters immer noch Bachelor. Ich stelle mir das Poco-Domäne-Kinder-Schlafsofa in seiner Wohnung in einem Plattenbau irgendwo hinter dem S-Bahnhof Lichtenberg vor.
Links von uns sitzt ein anderes Date. Gott, dieses Wort! Verabredung. Treffen. Kennenlernen. Beschnupperung. Mäh.

CDU-Bernd redet ununterbrochen. Ich esse ununterbrochen. Sehr rosmarinlastig. Viel Sahne. Der Salat durchschnittlich. Tomate, Gurke, Eisberg. Der Tzaziki. Durchschnittlich. Besser zu Ousies nach Schöneberg gehen… Aber alles in allem: ok.
„Wie hälst Du das eigentlich aus in Neukölln? Zwischen all den Ausländern, Verrückten und Hartz-IV-Empfängern?“
Ein sahneschwangerer Pilz bleibt mir im Hals stecken.
Klischee-Bernd mit Klischee-Weltbild.
Ich sehe mich nach einem Notausgang um. Verdammt, ich wollte heute Abend wenigstens vögeln, wenn’s schon nicht der Mann für’s Leben ist. Aber ich vögel nicht mit Klischee-Bernds!
„Ich muss mal für kleine Schwedinnen…“

Auf der Toilette riecht es nach Seife. In der rechten Kabine ist das Klopapier alle. Zum Handewäschen muss man eine Hand ununterbrochen vor einen Sensor halten. Komisches Prinzip. Aber ich lerne schnell!
Ich sehe in den Spiegel. All der Aufwand. Die Haare. Das Eincremen. Die Unterwäsche. Alles für einen spießigen Halb-Nazi im Hemd. Jetzt hilft nur noch eins: ALKOHOL!
Der CDU-Patriarch zahlt schließlich. Da erlaube ich mir, doch auch mal einem Klischee zu entsprechen und lasse mich als Frau einfach mal aushalten. Immerhin muss ICH die CDU-Hornbrille AUCH aushalten!

Die Auswahl der Cocktails ist endlos. Einen „Swimming Pool“? Nee, zu luxuriös. Ich brauche etwas, das Abhilfe schafft!
Einen „Hurricane“, der diesen miesen Abend aufwirbelt? Das „19th Hole“, in dem ich versinken kann? Ein „Flying Cangaroo“ als Fluchtfahrzeug?
Oder einfach einen anderen Mann bestellen? Einen „White Russian“? Einen „Latin Lover“? Oder gar einen „Watermelon Man“?
Ich überlege, was CDU-Bernd wohl bestellen wird. Einen „Küsschen’s“? Einen „Erotica“? Einen „Affair“? Einen „Touch Down“? Einen „Sex on the Beach“? (Sorry, der musste sein…)
Oder gar einen „Viagra“?

Er bestellt einen „Big Boss“.
Aha.
Ich einen „Alex“. Vielleicht kann der ja mehr als Bernd.
Cocktails dauern. Und sind durchschnittlich gut. Immerhin mit Garnitur.
Ich lutsche möglichst unerotisch an einer Cocktailkirsche und sauge schmatzend am Strohhalm herum. Es hilft alles nichts. Der ungevögelte Bachelor-Bernd hat eh nur Augen für meinen Ausschnitt.
„Du hast so schöne Augen!“
Wow. Wahnsinnskompliment. Never heard before. Tell me more about that!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Meine Höflichkeit - und mein angepisstes Ego.

Letztlich siegt letzteres. Bevor Bernd das Brot gleich einen güldenen Ring zückt, um seiner Perlen-Emily einen Antrag zu machen, ergreife ich endlich die Flucht.
„Du, ich muss los. Ich treff mich jetzt gleich noch mit meiner Hardcore-Punkband am Hermannplatz zum Kiffen. Und morgen früh habe ich einen Arzttermin, weil sich mein Nippelpiercing entzündet hat.“
In Gedanken rülpse ich einmal laut wie ein Berggorilla.

Meine Höflichkeit und ich laufen zur S-Bahn. Das Lykia liegt hinter mir. Ein durchschnittlicher Ort für durchschnittliche Dates. Ein Ort für CDU-Bernds aus Schwieberdingen, die auch mal Großstadt spielen wollen.
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