Dienstag, 27. November 2012

Die Bahn macht debil: Salami-Gunnar in der U8

Salami Gunnar Berlin BVG U-Bahn Tagesspiegel Knäckebrot

9:45 Uhr, U8 Richtung Wittenau


Gunnar trägt schlammfarbene Bügelfaltenhosen und ein braunrotes Baumwollhemd, unter dem ein vergilbtes T-Shirt vor sich hin stirbt. Die Gläser seiner dicken braunen Hornbrille vergrößern seine pyramidenförmigen Augen um ein vierzigfaches. Er sitzt auf dem äußeren Sitz, nimmt dennoch zusätzlich den halben Fensterplatz ein.




U-Bahn Berlin BVG Essverbot Pommes Neben ihm liegt seine beigefarbene Druckknopfsteppjacke, auf die Brusttasche wurde ein Ahornblatt gestickt.

Er legt eine Plastiktüte auf seine zusammengefaltete Jacke, behutsam und liebevoll, als wäre die Tüte ein repräsentatives Heiligtum.

Der Inhalt: Knäckebrote.
Ich sehe Salami. Fettig triefende Salami.
Bitte lass sie eingepackt. Bitte lass sie eingepackt.

 Ich blicke mich hilflos nach einem anderen Platz um. Alles besetzt. Bevor ich einen Rettungsplan schmieden kann, fängt Gunnar erst mal ordentlich an zu röcheln. Ein Hustanfall vom Feinsten. Kleine weiße Spuckfetzen schießen aus seinem Rachen, quer durch das Abteil. Halbherzig hält er die Hand in Luft, viel zu weit vom Mund entfernt, um noch irgendetwas aufhalten zu können.
Immer noch hustend faltet er seinen Tagesspiegel auseinander. Ich hatte ehrlich gesagt die B.Z. erwartet.

Verängstigt starre ich auf das Salamipaket.
Lesend greift Gunnar schließlich neben sich, öffnet raschelnd die Tüte. Eine Atombombe von Salamigeruch verbreitet sich im Raum. 42,7 Zentimeter unterhalb meiner Nase kündigt mein Magen den Aufstand an.
Gunnar beißt genüsslich und schmatzend in sein U-Bahn-Frühstück, die Krümel verteilen sich überall auf seiner abgewetzten Hose. Seine Beine sind weit auseinander gespreizt, als wolle das eine Bein nichts mit dem anderen zu tun haben.
Ich will da gar nicht hinsehen. Ich will da gar nicht hinsehen.

Abermals hilflos sehe ich nach links aus dem Fenster. Dunkelheit. Tunnel. Na toll.
Abermals hilflos sehe ich nach rechts zum „Berliner Fenster“. Dunkelheit. Technische Störung. Na toll.
Abermals hilflos sehe ich an mir herunter. Verdammt, immer dieser Haarausfall im Winter! Ich entferne lange blonde Haare von meiner schwarzen Bluse.
Ich muss unbedingt heute Abend an die dunkle Wäsche denken, sonst ist die bis übermorgen noch nicht trocken...
Und meinem Pfandflaschenimperium müsste ich mich auch mal wieder widmen…

Scheu werfe ich wieder einen kurzen Blick zu Gunnar. Verdammt, ich werde beobachtet. Zwei Glubschaugen beschäftigen sich mit meiner Brust, zwei Krümel hängen im verschleimten Mundwinkel.
Ich muss hier raus.

„Übergang zur S-Bahn“, erklingt es aus weiter Ferne. Juhu, ich bin gleich am Alex!
Der Salamizug des Grauens fährt in den Bahnhof ein. Ich sehe gelbe Kacheln.

Verdammt, nur Jannowitzbrücke! Wer hat sich diese blöde Station eigentlich ausgedacht? Man ist quasi schon am Alexanderplatz und irgendwie dann doch nicht. Man kann quasi hier umsteigen und irgendwie dann doch nicht, weil man erst verschissene 1400 Treppen nach oben hecheln muss. Man will rechtzeitig zur Arbeit kommen, rechtzeitig ins Kino kommen, rechtzeitig zum Hauptbahnhof kommen, rechtzeitig zum Flughafen kommen, rechtzeitig vor röchelnden Salamigunnars fliehen – aber nein, erst mal kommt JANNOWITZBRÜCKE.

Endlich. Alex. Ich werfe Gunnar einen letzten vorwurfsvollen Blick zu. Er blättert weiter zum Sportteil, leckt sich die Krümel aus dem rechten Mundwinkel.

Den Rest des Tages bleibt der Salamigeruch in meiner Nase. Den Rest des Tages protestiert mein Magen.

42,7 Zentimeter unterhalb meiner Nase. Ich habe es ausgemessen.


2 Kommentare:

  1. Herzlichen Glückwunsch. Du hast jetzt auch einen Honk. Wobei das eher ein Spast ist. :-)

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  2. Ganz starkes Teil. Wie immer!

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